Gesellschaft im Überfluss, Gesellschaft des Überflüssigen

 

Als ich vor ein paar Jahren mal aus meinem Lebensplan geworfen wurde, befand ich mich ziemlich überraschend auf Jobsuche. Ich hatte gerade ein paar Jahre auf der Universität hinter mir und hatte dort mein (Zer-)Denken perfektioniert. Als Geisteswissenschaftlerin hatte ich nicht den Eindruck, dass ich für irgendeinen Markt ausgebildet worden war.

 

Die Zeit danach war dann umso anspruchsvoller, denn ich sah mich – scheinbar plötzlich – mit der Realität „des Systems“ konfrontiert. Beim Durchforsten der Stellenanzeigen dachte ich mir vor allem eines: Warum gibt es all diese Stellen, Produkte und Dienstleistungen? Warum –  eine Frage, die mich mein ganzes Leben schon begleitet hatte. Ich fragte mich das oft, Männer fragten dann oft „Warum nicht?“ zurück, aber das ist eine andere Geschichte...

 

Mir ist damals etwas aufgefallen, was mir vorher auch schon aufgefallen war, aber was ich jetzt – in Anbetracht meiner „Not“ – als Beklemmung spüren konnte, die mir jede Luft zum Atmen nahm: Es gibt so viel Unsinn, und ich soll mitmachen.

 

Ich habe nichts gegen Unsinn! All der Unsinn hat mir mein Studium ermöglicht und alles, was ich heute habe. Und Unsinn kann ganz wundervoll sein, "Kunst" ist der beste Beweis. Noch will ich mir anmaßen, zu entscheiden was Sinn und Unsinn ist, aber ganz sicher gibt es in unserer Konsum-Gesellschaft Dinge, die überflüssig sind und die keiner wirklich braucht. Und selbst Dinge, die keiner braucht, sind toll und haben Berechtigung, solange sie nicht andere Menschen, Tiere oder die Umwelt in Mitleidenschaft ziehen. Und hier beginnt die Zwickmühle, denn man kann und muss als Mensch wahrscheinlich nicht leben, ohne ein bisschen Chaos anzurichten. Wahrscheinlich zieht jedes Lebewesen jedes andere Lebewesen zwangsläufig immer in irgendwas mit rein. Aber ganz sicher kann man Gewalt an Mensch, Tier und Umwelt minimieren, wenn man das möchte. Und ich möchte das...

 

Tierversuche für Kosmetika? Nein. Tierversuche für Putzmittel? Nein. Ich wusste bis vor ein paar Jahren nicht, dass es Tierversuche für Putzmittel gibt, wer hat sich denn das ausgedacht? Ich finde, es gibt zu viele Kosmetika und ganz gewiss zu viele Putzmittel. Es gibt auch zu viele Kekse, für die Hennen in Massen gehalten werden und Küken sterben müssen. Es gibt zu viele unfair produzierte Smartphones, und es gibt auch zu viel Joghurt. In Plastik. Und so weiter. Es gibt so unendlich viele Dinge, die produziert werden, nicht, weil sie gebraucht werden, sondern weil sie ein Begehren wecken, das niemand vorher hatte. Und um das Begehren zu wecken, gibt es eigene Industrien. Ich erzähle keine Geheimnisse...

 

Ich erzähle es trotzdem, denn das alles geht mir umso mehr jetzt langsam so richtig auf den Senkel, da wir uns wirklich nicht mehr leisten können, Ressourcen zu verschwenden. Ich kann und will nicht mehr mitmachen. Ich habe manchmal das Gefühl, ich spüre die Erschöpfung unserer Erde. Es tut mir mittlerweile richtig weh und macht mich schwindelig, wenn ich mich in Konsum-Hochburgen begebe, wo Bekleidungsgeschäft an Bekleidungsgeschäft steht – SALE! SALE! SALE! – wo einem ständig neue Smartphones mit noch irgendwas Besserem angedreht werden. Und ich drehe durch, wenn mir dann auch noch ungefragt auf riesigen LED-Bildschirmen in aufgeregter Bildsprache auf der Straße vorgeführt wird, warum ich die neue GoPro brauche. Irgendwas mit Abenteuer, is klar. Brauch ich nicht, und weniger Autos wünsch ich mir übrigens auch auf den Straßen. Ich wollte es nur mal gesagt haben.

 

Woran liegt es, dass es so viel überflüssiges Zeug gibt? Es muss auch an uns liegen, denn scheinbar kaufen wir ja immer noch. Wenn ihr mich fragt, liegt es daran, dass es eine Menge überflüssiger Gedanken in uns gibt. Was meine ich mit überflüssig? Ich meine: Unwesentlich, und mit un-wesentlich meine ich: Nicht aus Liebe geboren. Dass Liebe das Wesen aller Dinge ist, behaupte ich nur deswegen, weil ich es fühle, fühle, fühle, in jeder Faser meines Körpers, in guten Momenten – ohne viele Gedanken. Wenn wir das Leben in uns spüren, dann brauchen wir da draußen gar nicht mehr so viel...

 

Ich frage mich, wie eine Welt aussieht, in der Menschen Produkte oder Dienstleistungen auf den Markt bringen, die sich vorher überlegt haben, was sie der Welt schenken können, was gleichermaßen sie in Freude strahlen lässt und Freude in die Welt bringt. Menschen, die sich mit sich selbst auseinandersetzen, bevor sie sich mit anderen auseinandersetzen. Vielleicht ist diese Welt ein bisschen ruhiger, ein bisschen friedlicher, heller und bewusster, aber sicher nicht weniger aufregend. Vielleicht tut diese Welt weniger Menschen, Tieren und Pflanzen weh.

 

Ja, ich glaube, dass Politik jetzt Regeln schaffen und Richtung vorgeben muss, aber ich glaube auch, dass unsere Gesellschaft sich nur dann wirklich verändern wird, wenn die Veränderung in jedem Einzelnen stattfindet und von möglichst vielen Menschen überzeugt mitgetragen wird. Das heißt: Wir alle stehen in der Verantwortung, wir müssen jetzt nicht nur warten. Wir alle können uns selbst anstoßen, und dann vielleicht noch den daneben ein bisschen. Wir können uns anstoßen lassen. Und wirklich niemand muss alles perfekt lösen oder wissen, niemand muss alles perfekt machen, aber vielleicht jeder ein bisschen was besser als vorgestern. Und ja, ich denke, es hilft, wenn wir darüber reden, schreiben und uns austauschen. Das mit dem Austauschen dürfen wir übrigens auch lernen! 

 

Was wir ganz gewiss nicht müssen, ist: Uns schämen. Denn die Scham hält uns klein und zurück. Wir haben – jetzt – die Gelegenheit, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen. Darin sehe ich das große Geschenk unserer Zeit. Wir dürfen hinsehen: Wo haben wir "Fehler" gemacht, was wollen wir anders machen? Und mehr noch: Wir dürfen uns selbst verzeihen, die Königsdisziplin der Auseinandersetzung mit sich selbst. Das ist der Weg zur Liebe zu sich selbst, und damit auch zum Anderen...

 

Ach, ich glaub an uns!

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Kommentare: 2
  • #1

    Janine (Sonntag, 01 Dezember 2019 19:34)

    Ein sehr schöner Text, der nicht auf andere zeigt, sondern sein eigenes Handeln reflektiert. Jeder kann ein bisschen was tun und schon führt jeder kleine Teil zu einer großen Summe. Wenn wir uns dann noch gegenseitig anstupsen, dann wird’s richtig gut! Ich mache mit und danke für den Stups in meine Richtung!

  • #2

    Carola (Montag, 16 Dezember 2019 09:00)

    Wunderschön geschrieben. Es ist so schwer, bei sich selbst anzufangen und gerade das sollten wir tun
    Sich selbst zu verzeihen setzt voraus, sich selbst zu verstehen und das wiederum, in sich hinein zu hören. Das schwerste...